Siegfried G. SchoppeSächsisches Land- und römisches Zivilrecht im Konflikt bei kirchlichen Vermögenszuwendungen im Mittelalter
Der Fall der westfälischen „Alleinerbin Reinheldis“
Ökonomie in Staat, Kirche und Gesellschaft, Band 2
Hamburg 2018, 176 Seiten
ISBN 978-3-8300-9977-2 (Print)
ISBN 978-3-339-09977-8 (eBook)
Zum Inhalt
Das romanische Reinheldis-Epitaph der St. Kalixtus-Kirche in Riesenbeck (NRW) konnte inzwischen von Kunstsachverständigen ziemlich exakt auf das Jahr 1190 datiert werden. Jedoch geben die Form und der Inhalt der vier Hexameter den Sprachwissenschaftlern, Historikern und Juristen Rätsel noch auf. Denn die Kunst der „leoninischen Hexameter“ wurde nur im 10. Jh. während der ottonischen Renaissance gepflegt und von Hrotsvith von Gandersheim († 974) zur höchsten Blüte gebracht.
Das Flachrelief ist vom Bildhauer nach einer 200 Jahre älteren Textvorlage sowie bezüglich der figürlichen Darstellung nach einer Buchmalerei ebenfalls aus dem 10. Jh. gefertigt worden; somit ist es ein wichtiges Indiz zu der historischen Person der nur im Münsterland verehrten „Hl. Reinhilds“, von deren jungfräulichem Leben und Schicksal als Märtyrerin es widersprüchliche Legenden sowie das Epitaph ohne jegliche Zeithinweise gibt: Offensichtlich lebte Reinhildis um die Mitte des 10. Jahrhunderts in Westfalen.
Jedoch gibt es im sächsischen Hochadel zu dieser Zeit nicht einen einzigen Fall, in dem „eine Mutter ihre Tochter (Alleinerbin des verstorbenen Vaters) getötet“ hätte, wie der Text mitteilt, um an ihr Erbe zu kommen. Diese Fallkonstellation ist nach der Lex Saxonum (Aachen 804) aus juristischer Sicht völlig undenkbar. Allerdings konnte in der fraglichen Zeit die Interferenz des römischen Zivilrechts, des Kirchenrechts und des Sächsischen Landrechts zu widersprüchlichen Ergebnissen im Erbfall und bei Vermögensübertragungen an die Kirche führen.
Die Erkenntnis, dass es sich um einen Gedenkstein handeln muss, der das wahre Leben der Heiligen verklären und nicht erklären soll, führt zur juristischen und historischen Auflösung des Falles: Wenn Reinhildis wirklich von einer Frau ermordet wurde mit dem Ziel, an ihre Erbschaft zu kommen, dann kann es nicht ihre Mutter, sondern muss es ihre Schwester gewesen sein. Ein solcher Skandal ist überliefert aus der Familie des Grafen Wichmann I von Hamaland: In einem erbittert geführten Erbstreit mit ihrer jüngeren Schwester Adela verstarb Komtess Liudgarda als „Gründungsäbtissin Reinhildis“ des Damenstifts Elten 973 auf einer Reise vom Niederrhein über die Ems nach Riesenbeck und Westerkappeln zu ihren Wichmann-Zinshöfen plötzlich und unerwartet. Da Adela ein eindeutiges Motiv hatte, wurde ihr von der Öffentlichkeit ein Giftanschlag angelastet; allerdings gab es dazu keinen Prozess und kein Urteil - und auch keine Mut-Sühne oder gar Blutrache nach sächsischem Recht.
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