Friedrich BlocherDie Versuchung des Schönen in Werken deutscher Dichtung
POETICA – Schriften zur Literaturwissenschaft, Band 172
Hamburg 2022, 86 Seiten
ISBN 978-3-339-13126-3 (Print)
ISBN 978-3-339-13127-0 (eBook)
Zum Inhalt
Das Schöne steht im Mittelpunkt der folgenden Darstellung. Grammatikalisch betrachtet ist „des Schönen“ ein Genitivus subjektivus, das heißt: Das Schöne ist nicht Objekt, sondern logisches Subjekt der Aussage: der, die, das Schöne versucht, verführt, verdirbt womöglich und zwar auf stilistisch meisterhafte Weise.
Das ist ungewöhnlich, kommt aber in hervorragenden Werken der deutschen Literatur immer wieder vor und fand große Beachtung, wie die behandelten Dichtungen zeigen.
Das Schöne im herkömmlichen Sinn bedeutet natürlich etwas anderes, steht geradezu im Gegensatz zu seiner hier vorgestellten negativen Bedeutung. Um den Kontrast fühlbar zu machen, soll im Aufriß vom Wesen und Umfang, auch von einigen hervorragenden literarischen Beispielen des Schönen die Rede sein.
Grundlegend für das Schöne ist, was wir durch unsere Sinne, vor allem Auge und Ohr, empfangen (siehe Schiller im 26. Brief seiner „Ästhetischen Erziehung des Menschen“). Witzig drückt Christoph Martin Wieland das in seiner „Geschichte der Abderiten“ aus:
„Wie, zum Henker“, rief ein Abderit, der mit seinem Gefühl wohl sehr zufrieden schien, „Sie werden uns am Ende wohl gar noch unsere fünf Sinne streitig machen!“ – „Das verhüte der Himmel“, antwortete Demokrit, „ein Mann, der nie weitergeht, als ihn seine fünf Sinne führen, geht immer sicher; und in der Tat, wenn Ihr Hyperbolus dafür sorgen wird, daß in seinen Schauspielen jeder Sinn ergötzt und keiner beleidigt werde, so stehe ich ihm für die gute Aufnahme, und wenn sie noch zehnmal schlechter wären als sie sind.“
Das Schöne in einem dichterischen Kunstwerk baut sich in seiner Architektur aus einfachen geometrischen Figuren auf, beginnend mit dem Bogen (nicht der Geraden, die, für sich genommen, noch kein ästhetisches Phänomen ist).
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