Lena ThomsenFamiliäre Konstellationen und ihre literarische Darstellung bei Tolstoi, Flaubert und Fontane
Die Karenins, Bovarys und Briests
POETICA – Schriften zur Literaturwissenschaft, Band 116
Hamburg 2011, 238 Seiten
ISBN 978-3-8300-5886-1 (Print)
ISBN 978-3-339-05886-7 (eBook)
Rezension
In dieser sorgfältig und mit breitem literarischen und soziologischen Wissen erarbeiteten Studie werde die Ehebruch-Romane Anna Karenina, Madame Bovary und Effi Briest behandelt. […] Die Autorin analysiert auch die Rolle des Kindes in allen drei Fällen und unternimmt weite Ausblicke – in die Welt der Träume und Causerien […], in die Familien der Tolstoi’schen Nebenfiguren mit ihren utopischen Zügen, in weitere Erzählungen Fontanes und Tolstois und in Episoden bei Maupassant und Schnitzler.
Zum Inhalt
Die Institution Familie unterliegt seit dem 18. Jahrhundert einem Funktionswandel, der bis in die Gegenwart anhält und uns heute mit einer Vielzahl unterschiedlicher Familienmodelle konfrontiert. In den prominenten „Ehebruchsromanen“ des 19. Jahrhunderts werden die stets drohenden Auflösungserscheinungen und Transformationen familiärer Konstellationen im Kontext der ehebrecherischen Tat einer Familienmutter und einer daraus resultierenden katastrophalen Entwicklung in literarischer Form konkretisiert.
Die Untersuchung stellt die familiären Verhältnisse und Konflikte in Tolstois „Anna Karenina“, Flauberts „Madame Bovary“ und Fontanes „Effi Briest“ in den Fokus. In detaillierten Textanalysen wird aufgezeigt, wie die Familienproblematik in den einzelnen Romanen dargestellt und bewertet wird. Tolstois Werk erweist sich dabei aufgrund der Vielfalt unglücklicher aber auch gelingender Familienkonstellationen als besonders ergiebig für die Studie, da in ihm die Balance zwischen moralischer Idealisierung und poetischer Realisierung besonders deutlich werden kann. Dies wird durch die Destruktion und Negation familiärer Perspektiven kontrastiert, die sich – unterschiedlich motiviert und ausgeführt – in Flauberts und Fontanes Romanen ergeben. Vor allem in „Madame Bovary“ werden positive familiäre Werte als ironisch karikierte Beliebigkeit und Banalität präsentiert. In allen drei Texten verkehren sich Kategorien wie Stabilität und Beständigkeit, die dem Konzept „Familie“ per se zugrunde liegen, zu Auflösungserscheinungen, in denen die familiäre Kontinuität als ein Anspruch von Familienkonstellationen zu Prinzipien von Labilität und Fragilität umgedeutet wird. Zusätzlich herangezogene Texte Tolstois und Fontanes ermöglichen eine differenziertere Akzentuierung des Problems.
Einen Schwerpunkt der Analyse bildet die Darstellung der Kinderfiguren, die als unmittelbar Betroffene zum Zentrum der Familienproblematik gehören. Ihre literarische Funktionalisierung als moralische Instanz wird auch im Zusammenhang einer potentiellen Frage der Schuld diskutiert. Um die differenzierte und durchaus widersprüchliche Zeichnung der Kinder der Karenins, Bovarys und Briests sinnvoll zu kontrastieren, werden auch Beispiele aus einem erst kürzlich publizierten Roman von Tolstois Ehefrau herangezogen.
Schlagworte
19. JahrhundertEhebruchsromanFamiliäre KonstellationenFamiliäres UnglückGustave FlaubertKinderfigurenLew TolstoiLiteraturwissenschaftTextanalyseTheodor FontaneVergleichende LiteraturwissenschaftIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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