Enrico GaedtkeFahrgastrechte im öffentlichen Personenverkehr und ihre Durchsetzung in der Praxis
Vorschläge für eine umfassende Neugestaltung des Haftungsregimes und Plädoyer für die Einrichtung eines staatlichen Schlichtungsverfahrens
Rostocker Schriften zum Wirtschaftsrecht, Band 16
Hamburg 2011, 224 Seiten
ISBN 978-3-8300-5667-6 (Print)
ISBN 978-3-339-05667-2 (eBook)
Zum Inhalt
Die Reduzierung von Schadstoffausstößen, zu der sich auch die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet hat, ist ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor nachteiligen Klimaveränderungen. Durch regelmäßiges Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel kann auch jeder Bürger zur Verringerung von CO2-Immissionen beitragen. Denn schließlich verursacht beispielsweise ein nur durchschnittlich besetzter Linienbus pro Fahrgast weniger als ein Drittel des CO2-Ausstoßes eines durchschnittlich besetzten Pkws. Vergleichbare Werte wurden auch für die Beförderung von Fahrgästen mittels Nah- und Fernverkehrszügen ermittelt. Bei höherer Auslastung fällt diese Bilanz zugunsten von öffentlichen Verkehrsmitteln sogar noch deutlich besser aus.
Allein durch eine Verteuerung der Energie- bzw. Treibstoffpreise für Autofahrer wird eine verbesserte Auslastung öffentlicher Verkehrsmittel aber nicht zu erreichen sein. Vielmehr spielt neben der Bereitstellung eines flächendeckenden Angebots von Beförderungsleistungen vor allem die Qualität der Leistungserbringung – insbesondere die Pünktlichkeit der Verkehrsmittel – eine tragende Rolle bei der Entscheidungsfindung der PKW-Benutzer, ob sie auf ihr Fahrzeug verzichten und stattdessen Busse und Bahnen benutzen sollten oder eben nicht. Für die Qualität der Leistungserbringung mitentscheidend ist dabei der Umstand, ob dem Fahrgast im Falle der Nicht- bzw. Schlechtleistung entsprechende Ansprüche auf Schadensersatz oder Fahrpreiserstattung zustehen, weil die Beförderungsunternehmen infolge des durch Fahrgastrechte entstehenden Kostendrucks zur Verbesserung ihrer Beförderungsdienste angehalten werden.
Bislang führen die Fahrgastrechte hierzulande im Gegensatz zum Luftverkehr allerdings ein Schattendasein. Während in anderen Branchen überhaupt kein Zweifel daran besteht, dass Unternehmen ihren Kunden haften, existieren Verbraucherrechte im öffentlichen Personenverkehr praktisch nicht. Grund hier- für sind spezialgesetzliche Haftungsausschlüsse, die die Verkehrsunternehmen privilegieren. Sollten Busse und Bahnen mit Verspätung ihr Ziel erreichen oder überhaupt nicht fahren, versperren sie weitgehend den Weg für eine Anwendung der Rechtsinstitute des BGB.
Dass die Qualität der Beförderung in nicht unerheblichem Maße von der Haftung der Verkehrsunternehmen abhängt, hatte vor geraumer Zeit auch die Politik erkannt. Über die Parteigrenzen hinweg wurden jahrelang Versuche gestartet, die anachronistische Haftungsprivilegierung der Beförderungsunternehmen ersatzlos abzuschaffen oder sie durch andere, zeitgemäße Regelungen zu ersetzen.
Diesen Bemühungen war aber zunächst kein Erfolg vergönnt. Vertretern von Branchenverbänden und Verkehrsunternehmen gelang es durch Einflussnahme auf die in der jeweiligen Legislaturperiode in Regierungsverantwortung berufenen Entscheidungsträger immer wieder, die Vorstöße zur Entwicklung und Installation eines neuen Haftungssystems im Keim zu ersticken. Insbesondere die freiwillige Einführung von Kundengarantien trug dazu in nicht unerheblichem Maße bei.
Allerdings bestand in der Literatur und bei Verbraucherschützern Einigkeit dahingehend, dass diese Kundengarantien nicht ausreichen, um einen hinreichenden Verbraucherschutz zu gewährleisten und die Unternehmen zu einer Verbesserung der Qualität ihrer Beförderungsleistungen anzuhalten. Die Forderung nach wirkungsvolleren Kundenrechten wurde dementsprechend aufrecht erhalten. Dennoch blieb der nationale Gesetzgeber trotz weiterer Initiativen der Oppositionsparteien vorerst weiterhin untätig, da er nunmehr die mittlerweile auf europäischer Ebene gestarteten Bemühungen, die Rechte von Fahrgästen auch bei Inlandsbeförderungen zu stärken, abwarten wollte. Denn anders als ursprünglich geplant hat die EU-Kommission den Anwendungsbereich ihres gewisse Mindestrechte enthaltenden Verordnungsvorschlags ausdrücklich auch auf den inländischen Schienenpersonenverkehr ausgedehnt, so dass die Einführung eines nationalen Haftungssystems wegen des Anwendungsvorranges und einer möglichen Sperrwirkung des EG-Rechts ohne Berücksichtigung des Sekundärrechtsakts vorerst nicht mehr denkbar war.
Mit dem Inkrafttreten des nunmehr in Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 umbenannten Sekundärrechtsakts zum 3. Dezember 2009 wird sich die Rechtslage zumindest für Fahrgäste im Eisenbahnpersonenverkehr spürbar verbessern. So erhalten sie etwa im Falle von Zugverspätungen erstmals einen gesetzlichen Anspruch auf Fahrpreisentschädigungen. Dennoch können die Regelungen der Verordnung im Ergebnis nicht vollends zufriedenstellen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat sich beispielsweise nicht dazu durchringen können, eine Haftung für Folgeschäden einzuführen. Auch die Höhe der Erstattungssätze überzeugt nicht. Der hiesige Gesetzgeber könnte somit nach der Verabschiedung der EG-Verordnung auch auf dem Gebiet der Eisenbahnbeförderung noch eigene Akzente für einen wirkungsvolleren Verbraucherschutz setzen.
Von dieser Möglichkeit hat der deutsche Gesetzgeber nur unzureichend Gebrauch gemacht. Zwar hat er nach langer politischer Debatte nunmehr ein „Gesetz zur Anpassung eisenbahnrechtlicher Vorschriften an die Verordnung (EG) Nr. 1371/2007“ beschlossen, welches zum Ziel hat, den Fahrgästen die Rechte aus der Verordnung bereits zum 29. Juli 2009 einzuräumen. Eine nennenswerte Verstärkung des Schutzniveaus der EG-Verordnung hat dieses Gesetz jedoch nicht zum Inhalt. Außerdem hat der Gesetzgeber davon abgesehen, Fahrgastrechte auch denjenigen Reisenden zuzugestehen, die für ihre Fahrten Busse oder Straßenbahnen benutzen.
Wie aber sollte eine gesetzliche Regelung nun konkret aussehen? Und wo genau sollte sich der Standort einer derartigen Regelung befinden? Auf diese Fragen will die vorliegende Arbeit am Ende des dem Personenbeförderungsrecht gewidmeten Kapitels eine Antwort geben. Die Entwicklung von Vorschlägen für ein neues Haftungsregime bildet den ersten Schwerpunkt dieser Untersuchung. Die hier entwickelten Regelungsvorschläge tragen den durch die EG-Verordnung veränderten Rahmenbedingungen Rechnung. Neben dieser Abstimmung des neuen Haftungsregimes mit dem Sekundärrechtsakt bedarf es aber darüber hinaus auch noch der Beachtung anderer Aspekte, die erheblichen Einfluss auf die genaue Ausgestaltung der nationalen Regelung haben. Ein wichtiger Gesichtspunkt neben anderen ist dabei die Kostenbelastung der Unternehmen. Fahrgastrechte müssen bezahlbar bleiben, um den mit ihnen angestrebten Erfolg, mehr Fahrgäste für den öffentlichen Personenverkehr zu begeistern, erreichen zu können. Steigende Fahrpreise und die Ausdünnung des flächenbezogenen Angebots von Beförderungsleistungen infolge eines übermäßigen Kostendrucks gilt es möglichst zu vermeiden. Andererseits sollten der Ausfall oder die Verspätung von öffentlichen Verkehrsmitteln jedoch zu spürbaren Ersatzleistungen führen, da ansonsten der wirtschaftliche Anreiz, durch bessere Qualität Kostennachteile zu vermeiden, für die Beförderer nicht groß genug wäre. Schließlich werden durch Fahrgastrechte auch Wettbewerbsverzerrungen abgeschwächt, wie sie derzeit etwa im Fernverkehr zwischen der Beförderung mittels Eisenbahn einerseits und dem Flugzeug andererseits bestehen.
Schlagworte
AusfallBeförderungsrechtBeförderungsvertragEisenbahnFahrgastrechteÖffentlicher PersonenverkehrRechtswissenschaftStreitschlichtungVerspätungIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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