Christina SommerFürsorge- und Gerechtigkeitsmoral
- eine interpersonelle Perspektive
Studienreihe psychologische Forschungsergebnisse, Band 102
Hamburg 2004, 292 Seiten
ISBN 978-3-8300-1308-2 (Print)
Zum Inhalt
Der Streit um die Koexistenz einer eher weiblichen Fürsorge- und einer eher männlichen Gerechtigkeitsmoral (Gilligan, 1982, Kohlberg, 1984) in Moralpsychologie und philosophischer Ethik besteht mittlerweile seit über 30 Jahren. In der Diskussion um die Allgemeingültigkeit und die Geschlechtsneutralität von Moral werden situative Einflüsse vernachlässigt. Neuere Ansätze gehen davon aus, dass Moral interaktiv in Abhängigkeit von der jeweiligen Situation zwischen Menschen entsteht und folglich nicht überindividuell und überzeitlich gültig ist (Bergmann & Luckmann, 1999). Ausgehend von der alltäglichen Konstruktion von Moral wird in dieser Arbeit eine sozialpsychologische Perspektive mit der Moralpsychologie und philosophischen Ethik verbunden. Empirische Moralforschung aus einem sozialpsychologischen Fokus ist bislang nahezu völlig unbekannt. Die vorliegende Arbeit leistet einen innovativen Beitrag zu einer sozialpsychologischen Perspektive auf Moral. Die beiden moralischen Orientierungen werden als Gegenstand der alltäglichen Kommunikation beschrieben und untersucht. Als Grundlage dient die Theorie der sozialen Repräsentationen (Moscovici, 1981). Moral wird als sozial geteiltes Wissen konzipiert. Soziale Repräsentationen von Moral entstehen und verändern sich über interaktive Prozesse und bestimmen die Wahrnehmung von moralischen Konflikten und deren kommunikative Aushandlung.
In einer Fragebogenstudie mit 338 MedizinstudentInnen und 172 PflegeschülerInnen konnte gezeigt werden, dass die Verwendung einer Fürsorge- und einer Gerechtigkeitsmoral in Abhängigkeit vom jeweiligen moralischen Dilemma und von der Betroffenheit durch den moralischen Konflikt variiert. In einer zweiten Studie wurden Diskussionsrunden zu einem medizinethischen Dilemma mit 164 MedizinstudentInnen untersucht. Zur Analyse der Diskussionsrunden wurden ein Kodiersystem zum Argumentationsaufbau, ein Kodierschema zur Bestimmung von Fürsorge- und Gerechtigkeitsargumenten und ein Kodiersystem zur inhaltlichen Analyse der Argumente entwickelt. Die zweite empirische Studie zeigte, dass sich eine Fürsorge- und eine Gerechtigkeitsmoral als soziale Repräsentationen abbilden lassen und sich in ihrer argumentativen Struktur unterscheiden. Zentrale Charakteristika der jeweiligen moralischen Perspektive konnten über neun trennscharfe inhaltliche Metakategorien dargestellt werden. Diese inhaltlichen Kategorien veranschaulichen alltagssprachliche Übersetzungen der sozialen Repräsentationen zur Gerechtigkeits- und zur Fürsorgemoral. Die Studie zeigt, dass Moral als soziales Wissen abgebildet werden kann. Die Häufigkeit der argumentativen Perspektive einer Fürsorge- oder Gerechtigkeitsmoral wurde durch die Geschlechtszusammensetzung der Diskussionsrunden beeinflusst. Diese Ergebnisse stellen den universalistischen Anspruch der derzeitigen Medizinethik in Frage.
Schlagworte
EthikFürsorgemoralKohlberg-Gilligan-KontroverseMedizinethikMoralpsychologiePsychologiesoziale Interaktionsoziale Repräsentationsozial geteiltes WissenSozialpsychologieIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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