Anja KolpatzikTechnikphilosophische Betrachtungen im Werk José Ortega y Gassets
BOETHIANA – Forschungsergebnisse zur Philosophie, Band 6
Hamburg 1996, 200 Seiten
ISBN 978-3-86064-092-0 (Print)
Zum Inhalt
Im Bereich der Technikphilosophie, insbesondere aus Spanien, gibt es noch viele Desiderate. Mit der Analyse der Werke José Ortega y Gassets, dessen Schriften bisher fast ausschließlich einer literaturwissenschaftlichen und kulturphilosophischen Deutung unterlagen, wurde ein erster Schritt unternommen, die Technikphilosophie im spanischen Kulturbereich zu erschließen.
Diese Zielsetzung erfordert nicht nur die Erörterung seiner Hauptschrift zur Technikphilosophie, „Meditación de la técnica“, sondern auch seiner kulturdiagnostischen Werke wie z.B. „La rebelión de las masas“, die den gesellschaftskritischen Rahmen darstellen und die Interpretation seiner Technikphilosophie ermöglichen.
Als Ausgangspunkt der Analyse seines technikphilosophischen Schaffens dient sein vielzitierter Leitsatz „Yo soy Yo y mi circunstancia“, der in Verbindung mit seiner Theorie des Zirkumstantialismus zu deuten ist. Diese am Leben orientierte Philosophie findet auch in seinen technikphilosophischen Betrachtungen Anwendung: Ortega setzt der reinen und der kritischen Vernunft die vitale entgegen, um klarzulegen, dass dieses Organ unseres Denkens nicht eine Philosophie im Auge habe, sondern die Praxis, das Leben. Denn die Grundsituation des Menschen ist abhängig von seiner Umwelt, seinem Lebensentwurf und einer künstlichen Welt (Übernatur), die er sich mit Hilfe der Technik aufgrund der erstgenannten Faktoren schafft.
Bei der Analyse seiner international bekanntesten Schrift, „La rebelión de las masas“, die den zuvor erwähnten Leitsatz Ortegas bestätigt, wird ein Zusammenhang zwischen Technik, Gesellschaft, Wissenschaften, Spezialistentum und Massenmensch erarbeitet: Den Massenmenschen trifft man in allen gesellschaftlichen Schichten an; dieser Menschentypus lässt sich treiben, ohne nachzudenken, er ist träge und scheut sich vor jeder Verpflichtung. Ortega diagnostiziert den Aufstand der Massen und damit jedes Massenmenschen als Einfall der Barbarei in die Gesellschaft, was sich nachweislich auch auf den technischen Fortschritt auswirkt. Denn die maßlose Steigerung der Befriedigung seiner Bedürfnisse für das objektiv Überflüssige, zu der ihn der technische Fortschritt anzuhalten scheint, steht in keinem Verhältnis mehr zu einem ausschließlich sinnvollen Gebrauch und Nutzen technischer Erzeugnisse und einer Wertschätzung ihrer Erfindung.
Ortegas Hauptschrift zur Technikphilosophie, „Meditación de la técnica“, steht in direktem Zusammenhang mit den zuvor erarbeiteten Aspekten und stellt nicht nur sein globales Technikverständnis unter Beweis, sondern zeigt auch eine kritische Betrachtung der modernen Technik so dass man seine Gedanken heute noch als gesellschaftskritisch, vorausschauend und zeitgemäß beurteilen kann. Mensch sein heißt gemäß Ortega Techniker sein. Im Rahmen dieser Bewertung sei anzumerken, dass nach Ortega der Homo sapiens im technischen Zeitalter geneigt ist, die Befriedigung seiner Bedürfnisse durch die geringste Anstrengung zu erlangen, was ihm die moderne Technik im fortschreitenden Maße ermöglicht. Durch diese Einsparung von Tätigkeit läuft der Mensch Gefahr, die technischen Erzeugnisse als naturgegeben zu betrachten und ihre Auswirkungen in einer profitorientierten, technisierten Gesellschaft zu unterschätzen
Schlagworte
GeschichtswissenschaftGesellschaftskritikMassenmenschPhilosophiegeschichteSpanische LiteraturTechnikphilosophieTechnischer FortschrittVitale VernunftZirkumstantialismusIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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