Dietmar LangerRatio und Vorratio
Zum Verhältnis von Verstand, Vernunft, Vorrationalem und Mündigkeit
BOETHIANA – Forschungsergebnisse zur Philosophie, Band 140
Hamburg 2018, 156 Seiten
ISBN 978-3-8300-9700-6 (Print)
ISBN 978-3-339-09700-2 (eBook)
Zum Inhalt
Zur Debatte steht das komplexe Verhältnis von Verstand, Vernunft, Vorrationalem und Mündigkeit. Vorrational steht für emotional oder intuitiv, aber auch für unaussprechliche Aspekte des Innenlebens, wie z.B. unbeschreibliche Sehnsucht oder Liebe. Vorrational ist insofern nicht identisch mit irrational, denn Irrationalität ist weder Abwesenheit von Vernunft noch ein Mangel an Vernunft, sondern eine Störung in der Vernunftanwendung. Zwischen ’rational’ und vernünftig’ ist dagegen kein zwingender Unterschied auszumachen, jedoch kann Rationalität als Oberbegriff aufgefasst werden, der sich in Verstand und Vernunft untergliedern lässt. Verstand ist dann theoretische Rationalität und Vernunft praktische Rationalität. Mit ersterer werden Wahrheits-, mit letzterer Richtigkeitsansprüche geprüft, ohne dass sie mit Gewissheit als wahr oder richtig begründbar sind.
Träger dieser Ansprüche ist das Handlungssubjekt, das als potentielle Person dazu in der Lage ist, Mündigkeit zu realisieren, sich also im Handeln ohne Anleitung von außen seines Verstandes und seiner Vernunft zu bedienen. Dies gelingt nur, wenn das Subjekt dies will und über die notwendigen Kompetenzen verfügt. Wird Mündigkeit tatsächlich realisiert, so handelt eine Person. Aus dem Subjekt ist dadurch eine Person geworden. Dass die Personwerdung zustande kommt, also dass der Mensch zur Vernunft kommt, sie und seinen Verstand gebraucht, dazu bedarf es eines Entschlusses zur Anwendung rationaler Prinzipien (Wahrheit, Richtigkeit, Freiheit etc.). Das ist die Stelle, an der das Vorrationale von Bedeutung ist. Denn dieser Entschluss kann rational, aber auch vorrational motiviert sein. Popper hatte sich z.B. dazu entschlossen, weil er Gewalt hasste. Allerdings kann Vernunft auch zur Anwendung kommen, ohne dass man mündig ist, etwa wenn man jemand zuliebe nicht raucht. Man ist aber nicht ab einem bestimmten Zeitpunkt mündig und bleibt es dann für immer, sondern die Personwerdung muss immer wieder im Spannungsfeld von Ratio und Vorratio aufs Neue aktiviert werden, was man sich auch angewöhnen kann. Jedoch ist niemand davor gefeit, jederzeit in Unmündigkeit zurückzufallen oder eine Zeit lang darin zu verharren.
Der Zusammenhang zwischen Ratio und Vorratio erweist sich als eine komplexe Beziehung, weil beide Begriffe eingebettet sind in eine umfassendere Theorie des handlungsorientierten Geistes, die zwar neuronale Bedingungen zu berücksichtigen hat, aber immer auch gesellschaftlich-kulturelle Aspekte thematisiert. Erst so kann Mündigkeit als Personwerdung adäquat erklärt und begründet werden. Wenn jemand zur Vernunft kommt und dementsprechende Entscheidungen trifft bzw. vernünftige Entschlüsse fasst, dann handelt eine Person, andernfalls nur ein Handlungssubjekt als animal symbolicum. Personales Handeln ist dagegen Ausdruck des animal rationale. Ersteres ist ein Abbild jedes Menschen, weil es auf alle Menschen zutrifft, also auch auf Kinder oder Bösewichte, letzteres ist das Vorbild der Menschheit.
Schlagworte
FreiheitGefühlGründeHandlungIrrationalitätMündigkeitPädagogikPersonPhilosophiePsychologieRationalitätSelbstbezugSubjektTranszendenzVernunftVerstandVorrationalitätWeltbezugIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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