Dissertation: Richard-Wagner-Rezeption in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)

Richard-Wagner-Rezeption in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)

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Studien zur Zeitgeschichte, Band 74

Hamburg , 228 Seiten

ISBN 978-3-8300-4674-5 (Print) |ISBN 978-3-339-04674-1 (eBook)

Zum Inhalt

Die Einstellung der ostdeutschen Kulturpolitik gegenüber Richard Wagner lässt sich als ambivalent bezeichnen: Wagners Protoantisemitismus hatte in seinen kunsttheoretischen Schriften und in seinem musikdramatischen Schaffen deutliche Spuren hinterlassen. Zudem verband ein Teil der deutschen als auch der internationalen Öffentlichkeit wegen der Verbindung zwischen Adolf Hitler und dem Oeuvre des Komponisten nach 1945 die Musik Wagners mit den Verbrechen, die das NS-Regime zu verantworten hatte. Aus diesen Gründen musste das Werk des Komponisten zwangsläufig als problematisch erscheinen. Andererseits bot die in Wagners Werk eingeschmolzene Revolutionsästhetik ein nicht zu verachtendes Potenzial der Herrschaftslegitimation. Überdies sah sich die SED aus nachstehenden Gründen gezwungen, Richard Wagner in das offizielle Erbe- und Vollstreckerkonzept zu integrieren: Zum einen war dieser Komponist als bedeutender Bestandteil der deutschen Kultur aus dem Opernrepertoire nicht wegzudenken. Zum anderen verstand sich die Staatspartei der DDR im Kontext des Kalten Krieges und der deutschen Teilung nicht nur als rechtmäßiger deutscher "Erbeverwalter", sondern sie war außerdem bemüht, sich gegenüber der BRD als der "gerechtere" Erbevollstrecker zu präsentieren. Dieses Vorhaben wäre bei einem generellen oder partiellen Verbot der Musik Richard Wagners vorab unrealistisch gewesen.

Den Ausweg, welchen die kulturpolitische Führung glaubte, gefunden zu haben, bezeichnet der Verfasser als das "Zweiteilungstheorem". Dieser Denkansatz war älteren Datums und zerteilte Richard Wagners Leben und Schaffen in eine revolutionäre (frühe) und reaktionäre (späte) Phase. Als Zeitpunkt für diese angebliche Zäsur wurde Wagners Berührung mit der Philosophie Arthur Schopenhauers im Jahr 1854 festgesetzt. Erst seit diesem Zeitpunkt habe Wagner sich zu einem Chauvinisten und (über die Stationen Nietzsche und Gobineau) zum Judenhasser entwickelt. Wagners Schopenhauer-Korrektur des Jahres 1858 blieb in diesem Interpretationsmodell unberücksichtigt. Auf diese Weise konnten der unleugbare Zusammenhang zwischen Wagners Antikapitalismus und seinem Protoantisemitismus sowie weitere Widersprüche im Werk Wagners umgangen und nur so Wagners Wert für die sozialistische Gesellschaft glaubhaft behauptet werden.

Für die Theaterpraxis blieb dieser Denkansatz bedeutungslos: Der Regisseur Joachim Herz, der seit 1960 eine eigene DDR-Wagner-Rezeption in Theorie und Praxis mit Fernwirkung generierte, ignorierte das Zweiteilungstheorem. Seit den späten 1950er Jahren konnte sich der Musikwissenschaftler Werner Wolf überdies mit seiner ablehnenden Haltung gegenüber diesem Interpretationsansatz sukzessiv durchsetzen. Während noch auf dem Festakt der Wagner-Ehrung von 1963 ein Vertreter des Zweiteilungstheorems (der Musikwissenschaftler Georg Knepler) das Hauptreferat hielt, war Wolf 1983 einer der Hauptorganisatoren des internationalen Kolloquiums anlässlich der Richard-Wagner-Tage der DDR.

Dass die Gegner des Zweiteilungstheorems sich schließlich durchsetzen konnten, offenbart zum Ersten, dass die offizielle Seite weder konzeptionell noch argumentativ nicht in der Lage war, wesentliche Impulse in Sachen Wagner-Rezeption zu setzen, zeigt zum Zweiten die Abhängigkeit der DDR-Kulturpolitik von leistungsfähigen Eliten, wenn es darum ging, kulturpolitische Konzepte zu entwickeln, und verweist zum Dritten auf eine (begrenzte) Meinungspluralität innerhalb der Kulturpolitik der DDR.

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