Tobias MüllerRecht und Volksgemeinschaft
Zu den Interdependenzen zwischen Rechtspolitik und (instrumentalisierter) öffentlicher Meinung im Nationalsozialismus auf Grundlage der Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS
Rechtsgeschichtliche Studien, Band 1
Hamburg 2001, 386 Seiten
ISBN 978-3-8300-0457-8 (Print)
Zum Inhalt
Die Arbeit stellt die Frage nach Wechselbeziehungen zwischen rechtspolitischen Maßnahmen im Nationalsozialismus und den hierauf folgenden oder aber diesen Maßnahmen vorangehenden Stimmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung.
Die hierfür notwendige Quellenbasis wird vornehmlich auf der Grundlage der von dem Sicherheitsdienst (SD) der SS zwischen 1939 und 1944 verfassten Lageberichte gewonnen, den "Meldungen aus dem Reich". Jedoch bleibt die Untersuchung nicht bei dem wechselseitigen Verhältnis von Staat und Partei einerseits, der Bevölkerung andererseits stehen, sondern versucht, den Prozess der Generierung von Rechtspolitik und die dabei wirkungsmächtigen Prinzipien auch im Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher Institutionen und Organisationen im nationalsozialistischen Staat zu ergründen. Dies in besonderem Maße, als es nachzuweisen gelingt, dass der SD die von ihm erstellten Lagebericht nicht nur zur objektiven Information der politischen Führung, sondern gezielt auch als Mittel zur Propagierung und Durchsetzung eigener rechtspolitischer Positionen, insbesondere auch zu Lasten konkurrierender Institutionen, einsetzt. Besonders plakative und von der bisherigen Forschung in dieser Form nicht berücksichtigte Beispiele hierfür stellen u.a. die Beiträge des SD zur Genese der berüchtigten Polenstrafrechtspflegeverordnung oder im Umfeld der sogenannten "Justizkrise" im Frühjahr/Sommer 1942 dar.
Zusammengefasst erlaubt die Analyse der SD-Berichte die Beschreibung einer die nationalsozialistische Rechtspolitik konstitutierenden Gemengelage: Einerseits belegt sie die weitreichende Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber nationalsozialistischer Rechtspolitik, andererseits die teilweise auch kritischen und die Systemstabilität belastenden Haltungen der Bevölkerung in Bereichen eigener (auch nur potentieller) negativer Betroffenheit. Hinzu kommt die die Entwicklungsprozesse der nationalsozialistischen Rechtspolitik prägende Eigendynamik, hervorgerufen durch die Reibungen zwischen konkurrierenden Institutionen und Organisationen und den von ihnen in Anspruch genommenen unterschiedlichen Legitimitätstypen. Diese Erkenntnisse verdichtet erlauben es sodann, Erklärungen anzubieten für das die Rechtspolitik im Nationalsozialismus charakterisierende Nebeneinander von Normalität und Terror, Gesetz und Maßnahme, Justizförmigkeit und Entformalisierung.
Schlagworte
JustizNationalsozialismusÖffentliche MeinungRechtspolitikRechtswissenschaftSicherheitsdienstStrafrechtsgeschichteIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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