Ulli F. H. RühlKooperation oder Gewalt – Über die evolutionären Ursprünge von Moral und Recht
Schriften zur Rechts- und Staatsphilosophie, Band 28
Hamburg 2025, 306 Seiten
ISBN 978-3-339-14506-2 (Print)
ISBN 978-3-339-14507-9 (eBook)
Zum Inhalt
Schon David Hume versuchte 1739, die Ursprünge von Moral und Recht ohne Rückgriff auf Metaphysik oder Vertragsfiktionen allein aus natürlichen Prinzipien zu erklären. Die vorliegende Untersuchung präsentiert aus einer breiten interdisziplinären Perspektive moderne Erklärungsansätze für normatives Denken – unter anderem aus der Sozialpsychologie, Anthropologie, Primatenforschung, Emotionsforschung und Philosophie.
Im Mittelpunkt steht etwa die Genese moralischer Prinzipien aus normativen Erwartungen in elementaren sozialen Beziehungen, wie sie Alan P. Fiske in seiner Relational Models Theory beschreibt. Ob moralische Normen universell oder kulturspezifisch sind, ist Gegenstand der vergleichenden Forschung von Jonathan Haidt (Moral Foundations Theory).
Ein weiteres zentrales Thema ist die egalitäre Moral frühgeschichtlicher Jäger- und Sammler-Gesellschaften, die – so etwa Christopher Boehm – die Menschheit über Hunderttausende von Jahren geprägt hat und sich bis heute in der Dynamik von Dominanzstreben, Dominanzaversion und Praktiken indirekter Reziprozität niederschlägt.
Demgegenüber steht eine aktualisierte Version von Hobbes’ Theorie des übermächtigen ›Leviathan‹, der zufolge moralische Gebote und Verbote auf die Willkür einer Koalition gewaltfähiger Männer in frühgeschichtlichen Menschengruppen zurückzuführen seien.
Auch in der Primatenforschung ist die Frage der Moralgenese zentral: Zum einen im Hinblick auf Empathie und Gerechtigkeitssinn in den Arbeiten von Frans de Waal, zum anderen in der vergleichenden Forschung von Michael Tomasello, die auf die evolutionäre Entwicklung gemeinsamer und kollektiver Intentionalität fokussiert. Fairnessnormen erscheinen hier als evolutionäre Anpassung an den Kooperationszwang.
Mit der Entwicklung der Sprache vollzieht sich – aus gemeinsamer und kollektiver Intentionalität heraus – der Übergang zu den sozialen Institutionen menschlicher Gesellschaften, wie sie in John R. Searles philosophischer Sozialontologie beschrieben werden.
Moralgenese ist, wie sich zeigt, keine rein rationale Angelegenheit. Die letzten vier Kapitel widmen sich daher dem Verständnis von Emotionen – vom vermeintlichen Gegensatz zwischen Gefühl und Verstand bis hin zu den konstruktiven und destruktiven Wirkungen negativer Emotionen.