Dietmar LangerWarum die Erziehung des Geistes nicht veraltet ist
Zur Aktualität von Sprangers und Litts Konzeptionen der Selbstbildung und Selbsterziehung
Schriften zur Pädagogischen Theorie, Band 20
Hamburg 2023, 178 Seiten
ISBN 978-3-339-13242-0 (Print)
ISBN 978-3-339-13243-7 (eBook)
Rezension
[…] Insgesamt eignet sich das Werk Langers einerseits als Einstieg in die gewichtige Frage zur Diskussion um Freiheit oder Determinismus in der wissenschaftlichen Pädagogik, der auf Themen der Philosophie des Geistes zurückgeht, und andererseits auch als Lektüre für alle, die an spezifischen Aspekten der Erziehungs- und Bildungsphilosophie Eduard Sprangers und Theodor Litts interessiert sind.
Zum Inhalt
In der Postmoderne kann das ›Selbst‹ nicht mehr für Selbstbildung und Selbsterziehung im Sinne von Eduard Spranger und Theodor Litt als Fundament des pädagogischen Denkens und Handelns herhalten, vor allem weil es überzeugend dezentriert wurde. Daher ist die moderne Auslegung der geisteswissenschaftlichen Pädagogik diesbezüglich obsolet. Ist damit aber auch die Erziehung des Geistes veraltet? Dass dies nicht zutrifft, soll begründet werden, hängt aber davon ab, wie man ›Geist‹ auslegt und inwieweit man dessen postmoderne Problematik in den Griff bekommt.
Geist wurde von Litt im Rückbezug auf Hegel als grundlegendes ›Prinzip des Seins‹ gedeutet und Erziehung sollte als Beistand zur Selbsterziehung führen, womit sich ein ›egoistisches Ich‹ zu einem ›höheren Ich‹ durch Selbstbildung emporläutern und in den objektiven Geist der Kultur hineinwachsen kann. Als Leitkategorie wurde der Begriff eines veredelten Selbst im Sinne Sprangers seit Ende der 1960er Jahre durch den aus der Arbeitswelt stammenden Qualifikationsbegriff insbesondere als Schlüsselqualifikation nach und nach ersetzt, der wiederum vom Kompetenzbegriff abgelöst wurde.
Heute ist in den Bildungswissenschaften nicht mehr die Rede vom Geist, sondern von Kompetenzen. Neuhumanistische Selbstbildung mutierte somit zur effektiven Ausbildung und gewissenhafte Selbsterziehung zur egoistischen Selbstverwirklichung. Diesem Trend kann man entgegenwirken, wenn ›selbst‹ primär in der Kleinschreibweise verwendet wird, also wenn man z.B. das Gewissen als Vergewisserung seiner selbst deutet und sagt: ich mache mir selbst Vorwürfe, denn die Verantwortung liegt nicht bei Gott oder dem Schicksal, sondern bei mir selbst.
Zwar gibt es gute Gründe für die Verabschiedung vom Subjektbegriff bzw. vom Begriff des Selbst oder Ich, und sicherlich können die Denkweisen von Spranger und Litt den heute gestellten Ansprüchen, Pädagogik als postmoderne Handlungstheorie zu begründen, nicht mehr in allen Belangen gerecht werden. Aber heutige Selbsterziehung und Selbstbildung beruhen dennoch auf einem geistigen Vermögen, denn wer denkt, fühlt, glaubt, will, lernt, versteht, steuert, urteilt und vergleicht eigentlich? Allein das Gehirn? Wohl kaum. Es ist doch schon der Mensch mit seinem Geist aufgrund seines intakten Gehirns? Insofern ist Selbstaufklärung, Selbstkritik und Vergewisserung seiner selbst für Bildung und Mündigkeit von enormer Bedeutung, aber sie führt zu keinem Fundamentum, sondern lediglich zu einer potenziellen Person im Sinne eines fehlbaren Trägers geistiger Prädikate in allen Belangen und damit zu vielen Problemen im gesamten Lebensalltag.
Der Mensch ist nur ein potenziell zur Vernunft fähiges Wesen, was ein Blick auf das aktuelle Weltgeschehen in jeder Tageszeitung bestätigt. Deshalb ist die Erziehung des Geistes heute notwendiger denn je, und dies gilt folglich auch für die Bildung und Erziehung seiner selbst.
Schlagworte
Dezentrierung des SelbstEduard SprangerGeistIchKompetenzenLeib-Seele-BeziehungPhilosophiePostmodernePsychologieSelbstSelbstbildungSelbsterziehungTheodor LittWerteproblematikIhr Werk im Verlag Dr. Kovač
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